Das bisherige OEM-PLM-Modell ist besonders in Deutschland, aber auch weltweit eine gängige Form der Auftrags-/Herstellerbeziehung. Dabei bezeichnet OEM ein „Original Equipment Manufacturer“ (übersetzt “Originalhersteller”). Damit ist ein Unternehmen gemeint, welches das fertige Produkte herstellt (entwickelt, produziert), aber für diese Produkte nicht als Hersteller im Sinne der MDR und IVDR auftritt bzw. diese im Auftrag des PLM gefertigten Produkte nicht unter eigenem Namen in Verkehr bringt. OBL oder PLM bezeichnet einen „Own Brand Labeller“ bzw. einen „Private Label Manufacturer“. Dies ist ein Unternehmen, welches die von einem OEM hergestellten Produkte unter eigenem Namen in Verkehr bringt und diesbezüglich als Hersteller im Sinne der MDR und IVDR auftritt. (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit (BMG) - FAQ NAKI PDF).
Auch wenn die Medizinprodukte-Richtlinie (MDD) die Begriffe OEM und PLM nicht kennt, war es bisher möglich die Produkte aus einer solchen Handelsbeziehung auf den Markt zu bringen. Der entsprechende Absatz, der dies möglich machte, findet sich im Artikel 11, Absatz 7 der MDD und lautet: „Während des Konformitätsbewertungsverfahrens für ein Produkt berücksichtigt der Hersteller und/oder die Benannte Stelle die Ergebnisse aller Bewertungs-und Verifikationstätigkeiten, die ggf. in einer Zwischenstufe der Herstellung nach dieser Richtlinie durchgeführt wurden“.
Im ZLG-Papier 3.9 B16 wurde das entsprechende Vorgehen beschrieben. Der PLM musste demnach bisher nur eine „reduzierte“ technische Dokumentation (TD) erstellen und konnte sich im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahren auf die gültigen Zertifikate des OEM und dessen vollständige TD beziehen. Folglich musste der bisherige PLM nach der MDD nicht über die komplette TD des bisherigen OEM verfügen.
Je nach Zertifizierung des OEM mussten bisher im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens des PLM unterschiedliche Dokumente als Mindestdokumentation vorgelegt werden bzw. unterschiedliche Aspekte in der Vereinbarung zwischen OEM und PLM geregelt sein (Quelle: ZLG - Antworten und Beschlüsse des EK-Med - PDF Zertifizierung von OEM-Produkten).
Da die Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) diese Formulierungen nicht enthält, werden sowohl der Artikel 11, Absatz 7 der MDD als auch das ZLG-Papier 3.9 B16 ab dem 26. Mai 2020 ungültig sind. Nur für Produkte deren MDD-Zertifikate noch über den 26. Mai 2020 gültig sind, gelten noch Ausnahmeregeln.
Die MDR unterscheidet nicht zwischen PLM und anderen Herstellern. Hersteller sind nach der MDR „alle natürlichen oder juristischen Personen, die ein Produkt herstellen oder als neu aufbereiten bzw. entwickeln, herstellen oder als neu aufbereiten lassen und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarkten“ (Artikel 2, 30). Faktisch muss damit jeder PLM die Anforderungen an die Hersteller, die die MDR listet, erfüllen.
Artikel 16, 1a (MDR) besagt dazu, dass ein Händler, Importeur oder eine sonstige natürliche oder juristische Person die Pflichten des Herstellers bei Ausführung folgender Tätigkeiten einhalten muss:
Bereitstellung eines Produkts auf dem Markt unter dem eigenen Namen, dem eigenen eingetragenen Handelsnamen oder der eigenen eingetragenen Handelsmarke.
Ausnahme: Sollte der Händler oder Importeur eine Vereinbarung mit dem Hersteller (OEM) treffen, wonach der Hersteller (OEM) als solcher auf dem Produkt angegeben wird und der die Verantwortung für die Einhaltung der Anforderungen nach dem MDR übernimmt, gilt der Händler nicht als Hersteller (MDR, Artikel 16, 1a).
Die MDR fordert, dass die Hersteller von Produkten, bei denen es sich nicht um Sonderanfertigungen handelt, eine technische Dokumentation für ihre Produkte verfassen und diese Dokumentation auf dem neuesten Stand halten. Die technische Dokumentation ist so beschaffen, dass durch sie eine Bewertung der Konformität des Produkts mit den Anforderungen der MDR ermöglicht wird (Artikel 10, Abschnitt 4). Ferner muss der Hersteller die entsprechenden Konformitätsbewertungsverfahren ggf. unter Hinzuziehung einer Benannten Stelle durchführen (Artikel 10 MDR).
Diese Anforderungen muss nach der MDR auch der PLM (OBL) erfüllen, da sie nach der MDR als Hersteller gelten. Er ist somit auch für die Erstellung und Aktualisierung der technischen Dokumentation (TD) gemäß den Anhängen II und III verantwortlich. Der PLM muss daher die Kontrolle und den Zugriff auf die gesamte TD besitzen, da diese, den Nachweis zur Beurteilung der Konformität des Produkts enthält. Dies würde bedeuten, dass der OEM seine gesamte TD an den PLM weitergeben muss, um sie so auch für die Benannten Stellen jederzeit zur Verfügung zu halten.
Der NAKI (Arbeitskreis 3) sagt dazu: „Nach heute überwiegender Auffassung wird man bisherige OEM-PLM-Konstruktionen nur noch über sehr transparente und äußerst komplizierte vertragliche Regelungen erreichen können. Diese müssten u.a. sicherstellen, dass der PLM (OBL) jederzeit über den Zugang zur vollständigen Technischen Dokumentation (inkl. der fortzuführenden klinischen Bewertung, der Ergebnisse der Nachmarktbeobachtung, Details zu Materialspezifikationen, Details der Fertigungsprozesse und deren Validierung etc.) für die Produkte, die unter seinem Namen in Verkehr gebracht werden, verfügt und diese auf Verlangen vorzeigen kann“ (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit (BMG) - FAQ NAKI PDF ).
1) Der OEM:
Die Weitergabe aller Daten, Dokumente und Bewertungen, sprich die gesamte technische Dokumentation an den PLM stellt ein Risiko für den OEM dar. Der PLM könnte die Dokumentation dazu nutzen, das Produkt zu kopieren, sich einen billigeren Hersteller zu suchen und es dort herstellen lassen. Dies ist nicht vereinbar mit dem Schutz des geistigen Eigentums, möglichen Urheber- und Patentrechten und den Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der OEM. Selbst wenn man sich vertraut, ist das Aufsetzen eines rechtsicheren Vertrags extrem aufwendig und schwierig.
2) Der PLM:
Der PLM muss nach der neuen Rechtslage über das entsprechende Know-how und die entsprechenden Experten im Unternehmen verfügen, um die gelieferten Dokumentation bewerten und die Anforderungen der MDR umsetzten zu können. Da er aber bisher meistens nur als reines Vertriebsunternehmen fungierte, welches die benötigten Kompetenzen im Unternehmen nicht haben musste, muss er diese nun generieren und das entsprechende Personal einstellen und/oder weiterbilden. Neben den Fachkräften muss er zudem über ein eigenes Qualitätsmanagementsystem (QMS) verfügen bzw. dies installieren. Dies erfordert wiederum den Einsatz von Ressourcen (Zeit, Personal und Geld).
Im Moment wird über mögliche Lösungsansätze für das oben genannte Problem diskutiert. Die Aufzählung gibt nur einen Überblick und ist nicht vollständig. Welcher Lösungsansatz sich in Zukunft als tragbar herausstellt, ist noch nicht abschließend geklärt.
1. Variante: Händler statt PLM
Gemäß Artikel 16 (1a) zweiter Halbsatz MDR könnten bisherige OEM-PLM Beziehungen zukünftig so gestaltet werden, dass der bisherige PLM gemäß einer Vereinbarung mit einem Hersteller als Händler oder Importeur die Produkte unter seinem Namen verkauft. Dabei muss allerdings der Originalhersteller in den Produktkennzeichnungen weiterhin als Hersteller genannt werden (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit (BMG) - FAQ NAKI PDF ).
Dazu muss man wissen, dass die Händler bisher nichts an den Produkten verändern durften. Nahmen Sie Änderungen vor, galten Sie wieder als Hersteller. Genau an dieser Stelle ändert die MDR die Vorgaben, da sie eine Änderung der Verpackung sowie der Begleitinformationen nicht mehr als eine Produktänderung versteht.
Artikel 16, Abschnitt 2 der MDR besagt genau: „Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe c gelten folgende Tätigkeiten nicht als eine Änderung des Produkts, die Auswirkungen auf seine Konformität mit den geltenden Anforderungen haben könnte:
b) Änderungen der äußeren Verpackung eines bereits im Verkehr befindlichen Produkts, einschließlich Änderung der Packungsgröße, falls das Umpacken erforderlich ist, um das Produkt in dem jeweiligen Mitgliedstaat zu vermarkten, und sofern dies unter Bedingungen geschieht, die gewährleisten, dass der Originalzustand des Produkts dadurch nicht beeinträchtigt werden kann. Bei Produkten, die steril in Verkehr gebracht werden, gilt, dass der Originalzustand der Verpackung beeinträchtigt ist, wenn die zur Aufrechterhaltung der Sterilität notwendige Verpackung beim Umpacken geöffnet, beschädigt oder anderweitig beeinträchtig wird.“
Doch es gibt Pflichten: Der Händler muss identifizierbar sein, er muss über ein Qualitätsmanagement­system verfügen, welches durch eine benannte Stelle begutachtet sein muss, er muss die Behörden über das Inverkehrbringen informieren und er muss den Hersteller darüber informieren, in welchem Land er das Produkt auf den Markt bringt. Dieser muss damit einverstanden sein und diese Länder in seine PMCF-Studie miteinschließen.
Der Originalhersteller muss aber in jedem Fall als solcher erkennbar und auf dem Label (zusätzlich) genannt sein. Das ist ein Unterschied zu den bisherigen OEM-PLM-Konstrukten.
2. Variante: PLM wird Hersteller
Der (bisherige) OEM übergibt dem (bisherigen) PLM die vollständige Akte. Dies schließt die komplette technische Dokumentation, alle Aufzeichnungen aus dem QMS, sowie Informationen über Zulieferer und ausgelagerte Prozesse des OEM mit ein.
Genau hier besteht das Problem dieser Variante, da dies die OEM natürlich aus Gründen des Schutzes des geistigen Eigentums verhindern wollen. Der PLM würde hier alle Herstellerpflichten übernehmen, der OEM taucht mit seinem Namen nicht mehr auf.
Schwärzungen oder Unkenntlichmachung von Teilen der Technischen Dokumentation, die z. B. das geistige Eigentum des OEM berühren, sind dabei nicht zulässig (Quelle: Bundesministerium für Gesundheit (BMG) - FAQ NAKI PDF)
3. Variante: Gemeinsamer Vertrauter
Derzeit wird diskutiert, ob ein gemeinsamer Vertrauter des „PLMs“ und „OEMs“ damit beauftragt werden kann, den vollen Zugriff auf die Dokumentation zu haben und sie den Berechtigten wie den Benannten Stellen zugänglich zu machen. Die Vereinbarungen und rechtliche Absicherung dieses Konstrukts ist aber extrem schwierig und aufwendig.
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